Initial Coin Offerings (ICOs) sorgen derzeit für viel Furore. Diese besondere Form des Crowdfundings stellt immer neue Rekorde auf. Innerhalb kürzester Zeit werden dabei dreistellige Millionenbeträge für Startups eingesammelt. Doch was steckt hinter dem Hype? Und was bedeutet das für die Zukunft der Crowdfinanzierung?
Ein Initial Coin Offering (ICO) ist die Verbindung von Crowdfunding mit der Blockchain-Technologie und sprachlich angelehnt an das englische Wort für Börsengang, das Initial Public Offering (IPO). Doch bei einem ICO werden keine Unternehmensanteile in Form von Aktien zum Kauf angeboten, sondern virtuelle Münzen einer digitalen Währung – sogenannte Tokens.
Diese Tokens sind so etwas wie digitale Gutscheine. Investoren kaufen sie entweder mit einer bereits etablierten Kryptowährung (z. B. Bitcoin) oder mit einer klassischen Währung. Nach dem ICO werden die Tokens auf den bekanntesten Online-Börsen für Kryptowährungen gehandelt. Ist das finanzierte Projekt später erfolgreich, steigt auch der Wert der Tokens rasant an.
Ein ICO ist damit im Prinzip eine Form von Crowdfunding. Balaji Srinivasan, Aufsichtsratsmitglied der renommierten Venture-Capital-Firma Andreessen Horowitz, bezeichnete ICOs daher nicht ohne Grund als „Kickstarter auf Steroiden“. Denn formal gesehen handelt es sich nur um Spenden, da kein Eigenkapital oder Mezzanine-Kapital vergeben wird. Investoren erhalten in den meisten Fällen weder Mitbestimmungsrechte noch sonstige rechtliche Ansprüche, da ein Rechtsrahmen, wie er beispielsweise für VC-Firmen oder auch Crowdinvesting-Plattformen existiert, bei Token Sales völlig fehlt.
Die mangelnde Regulierung ist exakt einer der Gründe, warum ein ICO für manche Technologie-Startups so attraktiv ist. So gut wie keine Reporting-Pflichten, Unklarheit über Investorenrechte und Regressansprüche im Falle einer Insolvenz, und der geringe bürokratische Aufwand machen es zu einer einfachen und schnellen Finanzierungsform – und zu einem risikoreichen Unterfangen für Anleger. Der ICO-Investor trägt das unternehmerische Risiko voll mit. Sollte das Projekt scheitern, sind die Tokens im Zweifelsfall wertlos.
Der wohl bekannteste ICO fand 2014 zur Entwicklung des Blockchain-Projekts Ethereum statt, das sogenannte Smart Contracts einsetzt, um digitale Geschäftsbeziehungen zu vereinfachen. Das Projekt sammelte damals 18 Millionen Dollar ein und die daraus entstandene Kryptowährung Ether pendelte sich zunächst bei 40 Cents pro Ether ein. Inzwischen ist Ethereum ein weltweiter Erfolg und der Kurs schoss dementsprechend auf über 800 Dollar pro Ether in die Höhe.
Ethereum hat damit den Grundstein für den folgenden Goldrausch im ICO-Business gelegt. Ein Token-Sales-Rekord jagt dabei den nächsten. Doch nicht immer mit dauerhaftem Erfolg. Die auf der Ethereum-Blockchain basierende Digitalwährung Bancor z. B. sammelte im Juni 2017 in nur drei Stunden 153 Millionen Dollar Startkapital ein. Heute hat der Bancor-Token mehr als die Hälfte an Wert verloren, weil der Kundennutzen des Produkts von Experten angezweifelt wird.
Ein weiteres Beispiel ist Tezos. Das Startup aus Kalifornien ging mit großen Versprechen an den Start: eine bessere, gerechtere und effizientere Blockchain für alle Kryptowährungen. Im Juni 2017 sammelte Tezos dafür 232 Millionen Dollar ein, was es zum bisher zweitgrößten ICO macht. Wenige Monate später folgte die Ernüchterung: die für die Umsetzung nötigen Software-Ingenieure konnten nicht rekrutiert werden, das Management ist zerstritten und die Arbeit am Produkt liegt auf Eis. Inzwischen sieht sich Tezos mit Sammelklagen von Investoren konfrontiert, die dahinter Verletzungen des Wertpapiergesetzes und sogar Betrug vermuten.
Weil sie so einfach und schnell umzusetzen sind, finden immer mehr Token Sales statt. Im gesamten Jahr 2017 wurden auf diese Art rund 6 Milliarden Dollar eingesammelt. Davon allein 3 Milliarden im vierten Quartal. Doch kritische Stimmen mehren sich, denn der Bereich zieht aufgrund mangelnder Regulierung auch viele Betrüger an. Laut dem Informationsportal Tokendata sind mehr als die Hälfte aller ICOs nach nur knapp einem Jahr bereits gescheitert. Verfolgen viele ICOs von Anfang an nur das Ziel, sich am Geld der Investoren zu bereichern?
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Behörden dem Treiben im Namen des Anlegerschutzes einen Riegel vorschieben. Im Juli 2017 stufte die SEC die ICOs offiziell als Wertpapiergeschäfte ein. Als Grundlage der Regulierung diente der US-Börsenaufsicht dafür der Token Sale der Decentral Autonomous Organization (The DAO) des deutschen Software-Ingenieurs Christoph Jentzsch. Damit deutete sich schon an, dass die Wild-West-Zeiten für die Branche vorbei sind. Auch die deutsche BaFin hat kürzlich klargestellt, dass sich ICOs nicht im rechtsfreien Raum befinden. Sie will jeden ICO im Einzelfall prüfen, ob es sich um ein erlaubnispflichtiges Finanzinstrument handelt.
Je nach rechtlicher Ausgestaltung des Token Sales handelt es sich nach Auffassung der BaFin entweder um ein Wertpapier nach dem Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) oder um Vermögensanlagen nach dem Vermögensanlagengesetz (VermAnlG). Sollte ein Token beispielsweise „Gesellschafterrechte verkörpern“ oder „übertragbar und am Finanzmarkt handelbar“ sein, so handele es sich um ein Wertpapier. Somit würden ICOs als Finanzierungsform für Startups auf einen Schlag genauso stark reguliert wie Aktienemissionen. In anderen Fällen kann ein Token auch unter das Vermögensanlagengesetz fallen und würde dann genauso reguliert wie Beteiligungen mit Genussscheinen oder partiarischen Darlehen.
Der größte Vorteil, den ICOs gegenüber Crowdinvesting bisher hatten, war der öffentliche Handel der Tokens. Dadurch wurde eine eigentlich illiquide Geldanlage plötzlich liquide. Die Tokens eines ICOs konnten sofort nach der Auktion öffentlich auf diversen Handelsplätzen für Kryptowährungen gehandelt werden. Doch dieser Vorteil entfällt nun, da ICOs unter bestehende Wertpapiergesetze fallen werden und damit hohe gesetzliche Anforderungen erfüllen müssen.
Für Startups brachte die Handelbarkeit ohnehin auch Risiken mit sich, denn den Gründern fehlte so die nötige Planungssicherheit. Wenn vom ersten Moment an auf die Firmenentwicklung spekuliert wird, steht das Startup unter einem enormen Erfolgsdruck. Ein Kurseinbruch der Tokens, etwa bedingt durch einen allgemeinen Markteinbruch bei Kryptowährungen, könnte trotz guter Arbeit das vorzeitige Aus bedeuten.
Außerdem wird bei einem Token Sale häufig ein Großteil aller Tokens zur Auktion angeboten. Das bedeutet, dass das Startup nur eine Chance hat, ausreichend Kapital einzusammeln. eine einzige Seed-Runde, in der 100 Prozent des Kapitals offeriert wird. Eine Anschlussfinanzierung in Form einer Series-A- oder Series-B-Finanzierung ist ausgeschlossen. Dazu ist die Kompatibilität mit anderen Finanzierungsformen bisher völlig unklar. Crowdinvesting hat dagegen schon bewiesen, dass es kompatibel mit Anschlussfinanzierungen durch VC-Gesellschaften ist, was sich in der steigenden Anzahl an Co-Finanzierungen widerspiegelt.
Dazu fehlt dem ICO als Assetklasse bisher etwas, das über die erfolgreiche Finanzierung eines Projekts hinausgeht: Ein vorzeigbarer Erfolgsfall, also der Aufbau einer Firma, die dauerhaft Werte schafft. Nur wenn das gelingt, werden sich Wagniskapitalgeber ernsthaft mit dieser Finanzierungsform beschäftigen. Bis dahin werden ICOs das Crowdinvesting als Startup-Finanzierung in absehbarer Zukunft nicht ersetzen.
Der große Hype, den ICOs zurzeit erleben, hat nicht nur mit dem ohne Frage vorhandenen Potenzial der Blockchain-Technologie zu tun. Er beinhaltet auch eine große Portion Spekulation risikofreudiger Investoren, ausgelöst durch immer neue Höchststände der Vorreiter-Kryptowährung Bitcoin. Diese Entwicklung erinnert gefährlich an die Dotcom-Blase und das Ergebnis dieser Entwicklung ist hinlänglich bekannt.
Aber: ICOs werden sicher nicht einfach verschwinden. Doch sie werden in absehbarer Zeit auf Blockchain- und Open-Source-Projekte beschränkt bleiben. Wenn sich der Hype erst einmal gelegt hat – und das wird angesichts der bevorstehenden Regulierung schon bald sein – wird der ICO-Markt eine Korrektur erleben. Auch danach wird diese Finanzierungsform weiterhin interessant für Kenner der Blockchain-Szene bleiben. Wer sich jedoch in Software-Programmierung und Kryptographie nicht auskennt, für den wird es schwierig die Projekte zu verstehen, geschweige denn ihren künftigen Erfolg abzuschätzen.
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