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Neurofinanz – Wie das Gehirn das Anlageverhalten beeinflusst

Anlageformen und Strategien

Über Kopf- und Bauchentscheidungen

Von André Jasch
10 Minuten Lesezeit

Rendite, Risiko und Anlagehorizont: Viele verschiedene Faktoren sind an der Entscheidung eines Investors beteiligt, ob eine Investition lukrativ ist oder nicht. Und wenn sie erst einmal getätigt ist, hört es dort nicht auf. Der Markt muss im Blick behalten, die Entwicklung des Unternehmens genau mitverfolgt werden: Preisentwicklungen, Quartalsberichte und Kursentwicklungen.  

Bei der Informationsflut, die auf einen Investor einprasselt, kann schnell der Überblick verloren gehen. Denn das Gehirn ist nicht darauf eingestellt, so komplexe Sachverhalte wie den Finanzmarkt vollständig zu verstehen und daraus rationale Entscheidungen abzuleiten. Es delegiert diese Aufgaben nur allzu gerne an den Bauch – mit weitreichenden Auswirkungen auf das Anlageverhalten. Welche genau das sind, damit beschäftigten sich Forscher auf dem Gebiet der Neurofinanz.

 

Der Mensch hat eine sprunghafte Entwicklung vollzogen. Er hat seine Umgebung durch seine Erfindungsgabe radikal verändert: von der Erfindung des Rads, über die Dampfmaschine bis hin zum Computer dauerte es nur wenige Jahrhunderte. Doch unser Gehirn hat sich in derselben Zeit kaum verändert. Wir benutzen im Wesentlichen noch dieselbe „Hardware“, wie sie unseren Vorfahren vor Jahrtausenden zur Verfügung stand.

 „Unser Hirn ist das Ergebnis eines evolutionären Selektionsprozesses. Es ist uns zum Überleben gegeben und nicht dafür geschaffen, mit Geld umzugehen. Schon gar nicht in komplexen Finanzmärkten“, zitiert die Frankfurter Allgemeine Roland Ullrich, einen Experten auf dem Gebiet der Neurofinanz. Roland Ullrich kennt sich mit Finanzen aus, er war selbst 20 Jahre lang Investmentbanker in Frankfurt, London und an der New Yorker Wall Street. Nach der letzten Finanzkrise stieg er aus der Branche aus und berät heute Manager im Bereich Neurofinanz.

Dieses interdisziplinäre Forschungsfeld kombiniert Erkenntnisse aus der Psychologie und Hirnforschung mit Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie. Die Kernfrage der Neurofinanz lautet: Ist das menschliche Gehirn fähig, vernünftige Entscheidungen am Finanzmarkt zu treffen? Oder heißt es am Ende doch: „Gier frisst Gehirn“? Ullrich ist überzeugt, dass Verstandsareale des Gehirns bei Anlageentscheidungen „generell eher selten“ das Sagen hätten.

Den Grund sieht Ullrich in der rasanten Entwicklung des Menschen im Vergleich zum eher zähen Prozess der Evolution. Das Schweizer Magazin Punkt zitiert ihn mit den Worten: „Wir nutzen heute dieselbe neuronale Maschinerie, die unsere Vorfahren benutzt haben, als sie in der Steppe nach Nahrung suchten. Die Evolution ist angesichts der rasanten Entwicklung der Welt in den letzten Jahrhunderten einfach nicht mitgekommen.“

Im Kopf herrscht der alte Kampf zwischen Verstand und Gefühl. Hirnforscher verorten die Vernunft im präfrontalen Cortex, die Emotion dagegen im limbischen System. Wer häufig „aus dem Bauch heraus“ entscheidet, der trifft Entscheidungen also eher über das limbische System.  Neurofinanz-Forscher untersuchen nun, welche Hirnareale bei Finanzfragen häufiger aktiviert werden. Dabei zeigt sich, dass die Vernunft, also der präfrontale Cortex, in Sachen Geld oft außen vor bleibt.

Entscheidungen über Gewinne und Verluste werden häufiger über das limbische System getroffen. Das hängt damit zusammen, dass der präfrontale Cortex sehr viel Energie verbraucht. Mit anderen Worten: Es kostet Kraft, seinen Grips anzustrengen und so die vernünftigste Entscheidung zu finden. Daher neigt das Gehirn zum „Outsourcing“ – es delegiert Entscheidungen wenn möglich an das limbische System, das Ereignisse mit Emotionen verknüpft und daraus Erfahrungswerte ableitet.

„Verluste sind Schmerz. Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen einem Wespenstich, dem Hammer auf dem Daumen oder aber einem finanziellen Verlust. Hier ist ein Schmerz [...] und dann heißt es: Kampf oder Flucht, ein in unserer Evolutionsgeschichte durchaus bewährtes Verhalten“, so Ullrich gegenüber der Frankfurter Allgemeinen.

 

Die Ergebnisse erklären auch gut, warum beispielsweise Börsenhändler kollektiv in Panik ausbrechen – und die Situation durch irrationale Entscheidungen erst verschlimmern. Sie werden von ihren Emotionen getrieben. In Stresssituationen, also wenn die Aktienkurse ins Rot drehen, schüttet die Nebenniere das Stresshormon Cortisol aus. Das Ergebnis: Der Investor verfällt in kopflose Panik. An rationale Entscheidungen ist dann nicht mehr zu denken.  

Eine Studie der Cambridge Universität unter der Leitung des Neurowissenschaftlers und früheren Wall-Street-Händlers John Coates betrachte das Stresshormon Cortisol genauer. Der Forscher untersuchte Händler der Londoner Börse über einen längeren Zeitraum. Während einer achttägigen Phase starker Marktschwankungen trat das Stresshormon bei den Brokern um 68 Prozent häufiger auf als gewöhnlich.

Coates und sein Team überprüften die Ergebnisse in einer Doppel-Blind-Studie. Sie verabreichten Probanden Tabletten, die ebenfalls zur Erhöhung des Cortisol-Spiegels um 68 Prozent binnen acht Tagen führten. Anschließend ließen sie die Probanden und eine Kontrollgruppe, die keine erhöhten Cortisol-Werte hatte, ein auf Anreizen basiertes Spiel spielen. Bei den Probanden mit erhöhten Stresswerten brach der Hang zum Risiko um 44 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe ein.

Die Forscher schlussfolgerten: Es ist Cortisol, das Börsenhändler in eine Art Schockstarre verfallen lässt. Dadurch sind sie weniger risikoaffin als gewöhnlich und verpassen gerade in Krisenzeiten entscheidende Chancen. Das wiederum führt dazu, dass Kurseinbrüche an der Börse länger dauern, als sie eigentlich müssten. Ohne diese Schockstarre würden risikobewusste Investoren frühzeitiger günstige Kaufgelegenheiten wahrnehmen und die Krise wäre schneller überwunden, sind die Forscher überzeugt.

„Die Stressreaktion könnte dazu führen, dass die Instabilität der Märkte übertrieben und Krisen hinausgezögert werden“, so Coates gegenüber der Financial Times. Die Studie würde zudem die weitverbreitete Annahme in Zweifel ziehen, das Risikoverhalten der Anleger sei immer stabil. Wirtschaftliche Modelle und Barometer zur Börsenstimmung basierten stets auf dieser Annahme. „Es gibt einen sehr starken physiologischen Effekt, der eine Rolle auf den Märkten spielt – und weder die Händler noch die Risiko-Manager oder Politiker sind sich dessen bewusst.“

Die Untersuchungen zeigen, dass sich selbst professionelle Anleger von ihren Gefühlen leiten lassen. Denn bei Finanzfragen spielen vor allem zwei Gehirnareale eine Schlüsselrolle: das Belohnungssystem und das Angstzentrum. Das Belohnungssystem ist zuständig für die Motivation des Menschen. Es erinnert an Erfahrungen, die sich gut angefühlt haben und die deshalb wiederholt werden sollten. Das Angstzentrum ist dagegen für Risikowahrnehmung zuständig. Potenzielle Bedrohungen, auch so abstrakte wie der Verlust des eingesetzten Kapitals, werden hier vor jeder Entscheidung abgewogen.

Das heißt, Verluste bei der Kapitalanlage werden im Gehirn mit Schmerz assoziiert, während Gewinne direkt mit dem Belohnungssystem verknüpft sind. „Unser Gehirn springt auf eine langfristige Zukunft hin nicht an. Es ist gepolt auf sofortige Belohnung und die Abwehr von akuten Gefahren“, so Ullrich. Das führt dazu, dass das Gehirn seinen Gewinn immer sofort haben will, statt in ferner Zukunft, auch wenn er dann größer ausfällt. Das würde auch erklären, warum so viele Privatanleger an der Börse kein Geld verdienen.

 

Ob das Belohnungssystem oder die Risikowahrnehmung im Vordergrund stehen, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Deshalb besteht der erste Schritt darin, herauszufinden, was für ein Investoren-Typ man ist. So kann man besser einschätzen, ob man aufgrund seiner Erfahrungen eher zum Risiko oder eher zur Sicherheit neigt. Anschließend gilt es das impulsive Denken bei der Geldanlage auszublenden.

Zwar tendiert der Mensch dazu, sich in stressigen Situation von seinen Emotionen überwältigen zu lassen, doch die gute Nachricht lautet: Das Gehirn lässt sich trainieren. So schwer es fällt, aber Investoren müssen sich auch in schweren Zeiten zwingen, an ihrer langfristigen Strategie festzuhalten und diese nicht beim ersten Anzeichen von Marktturbulenzen über Bord zu werfen.

Die erfolgreichsten Anlagestrategien – wie etwa das Value Investing – sind langfristige Strategien. Investmentprofis wissen, dass das Auf und Ab zum Spiel dazu gehört. Was für sie zählt ist die Wertentwicklung auf lange Sicht. Diese ist meistens positiv, wenn man die richtigen Investmententscheidungen trifft und – das ist das Entscheidende – auch unbeirrt daran fest hält.

Nicht nur an der Börse führen irrationale Entscheidungen zu Problemen. Auch für Privatanleger haben Bauchentscheidungen im Finanzbereich Folgen. Die Deutschen etwa legen einen Großteil ihres Vermögens noch immer in Sparprodukten an, obwohl diese in Zeiten ultra-niedriger Zinsen effektiv – also inflationsbereinigt – eine negative Rendite aufweisen. Diese Entscheidung ist vor allem von der Angst bestimmt, die falsche Investition zu tätigen. Die Tageszeitung Die Welt hat einmal ausgerechnet, dass deutschen Anlegern dadurch jedes Jahr 200 Milliarden Euro an Gewinnen entgehen.

Die Bundesregierung hat deshalb eigens eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen, um zu erforschen, wie man die Deutschen zu besseren Finanzentscheidungen bewegen kann. Dort könnten auch Sachverständige wie Dr. Bernd Weber sitzen. Er ist Professor am „Center for Economics and Neuroscience“ der Universität Bonn.

Weber zeigt sich im Gespräch mit dem Finanzportal AnlegerPlus überzeugt davon, dass es möglich ist, das impulsive Anlageverhalten in den Griff zu bekommen. Es sei davon auszugehen, dass „Elemente wie Achtsamkeit auf eigene Körpersignale oder die Distanzierung von eigenen Emotionen, die beide aus der Psychotherapie stammen, dabei helfen können.“

Das würde bedeuten, dass sich rationales Anlageverhalten trainieren lässt. Außerdem gebe es Anzeichen dafür, dass eine gewisse Intuition im Zusammenhang mit Anlageentscheidungen durchaus erlernbar ist, so Weber. Er bezieht sich dabei auf eine Untersuchung, bei der unter Laborbedingungen künstliche Aktienmarktblasen erzeugt wurden. Bei einigen Teilnehmern der Studie hätten die Forscher im Gehirn Signale gefunden, die dem Platzen der Blase vorausgegangen seien.

„Wahrscheinlich gibt es bei bestimmten Menschen also eine entsprechende Intuition. Die Frage ist, ob man sich das bewusster machen oder mit Hilfe von Geräten visualisieren kann.“ Besonders wichtig sei es für Investoren, Entscheidungen nicht unter Stress zu fällen, denn dann schaltet der Verstand ab und der Bauch übernimmt. „Man muss versuchen, das impulsive und gegenwartsgesteuerte Denken ignorieren zu lernen“, rät der Neurofinanz-Experte.

Stand vom 25.04.2017 13:13


 

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