Design Thinking, Scrum, Lean Canvas: Alternative Ansätze zur Innovations-, Produkt- oder Softwareentwicklung erfreuen sich seit einigen Jahren in der Unternehmenswelt immer größerer Beliebtheit. Für Startups hat sich mit Lean Startup in den letzten Jahren eine agile Methode etabliert, die das Risiko des Scheiterns einer neuen Geschäftsidee möglichst gering halten soll. Was steckt hinter dem Innovationsansatz, wie schlank („lean“) ist er wirklich und worauf sollte geachtet werden?
Der Glaube versetzt Berge, heißt es so schön. In der Gründer-Welt ist dieser Spruch, einfach ausgedrückt, ziemlicher Bullshit. Viele Startups scheitern nicht, weil ihnen eine gute Geschäftsidee oder Geld fehlt, sondern weil ihre Kunden das entwickelte Produkt einfach nicht kaufen. Obwohl oft sehr viel Arbeit und Leidenschaft darin steckt.
Warum? Junge Gründer glauben oft, sie hätten eine brillante Innovation oder einen genialen Service entwickelt, auf den die Menschheit nur gewartet hat. Das Problem: Sie glauben nur, dass ihre Kunden es wollen, sie wissen es aber nicht!
Lean Startup will genau diese Lücke zwischen Glauben und Wissen schließen: durch schnelles, validiertes Learning-by-doing.
Ziel der Methode für Startups ist es, ein marktrelevantes Produkt bzw. Geschäftsmodell zu entwickeln, und zwar mit so wenig Aufwand und Kapital wie möglich, aber trotzdem möglichst agil. Dafür wird die Gründungsidee von Anfang an „An den Markt gebracht“, also auf den echten Kundenprüfstand gestellt.
Lean-Startup-Merksatz: "Make something people really want."
Diesmal kein Schweizer. Geprägt und populär wurde der Innovationsansatz, wie sollte es anders sein, in der Hightech-Startup-Welt des Silicon Valley. Unternehmer Eric Ries rief den Begriff in Anlehnung an „Lean Production“ erstmals 2009 in seinem Blog ins Leben. Populär wurde die schlanke Gründungsmethode dann mit Ries‘ Bestsellerbuch „The Lean Startup: How Today’s Entrepreneurs Use Continious Innovation to Create Radically Successful Businesses“. Dort stellte er die Erfahrungen mit der effizienten Umsetzung von innovativen Produktideen in seinem Software-Startup IMVU vor.
Inzwischen ist das Entwicklungsmodell quasi ein alter Hut, ein eigenes Mindset für kleine und große Unternehmen und wird weltweit angewendet. Hardware- und Life-Science-Firmen nutzen die agile Methode genauso wie etwa das Weiße Haus oder die Deutsche Telekom, Toyota und viele mehr.
Startups versuchen natürlich von Anfang an, wenig Zeit, Geld und Manpower zu verschwenden. Macht ja auch Sinn, denn von allem gibt es am Unternehmensanfang in der Regel recht wenig. Lean Startup versucht, daraus einen Entwicklungsvorteil zu generieren: durch Fokus auf „Beweglichkeit“ (Agilität), Schnelligkeit und Wiederholung (Iteration).
In Eric Ries‘ Buch heißt es dazu: Das wichtigste Ziel bei der Entwicklung neuer Produkte ist, „so schnell wie möglich herauszufinden, was [man] wirklich anbieten soll“. Und zwar direkt im Markt beim (potenziellen) Kunden. Dessen Feedback entscheidet, welche Schritte bei der Innovationsentwicklung weiter verfolgt und welche aufgegeben werden sollten. Je schneller dies gelingt, desto schneller ist die Produktentwicklung und desto schneller ist der zentrale Kundennutzen gefunden.
Dafür muss sich ein Gründerteam vom Anspruch des „Perfekten Produkts“ lösen. Zentrale Annahmen des eigenen Geschäftsmodells und der Produktentwicklung müssen schnell geprüft sowie ggf. verworfen und angepasst werden. Ries schreibt dazu: „Klammern Sie jede Funktion, jeden Prozess und jede Aktivität aus, die nicht unmittelbar zu den von Ihnen angestrebten Lernfortschritten führen.“ Erst wenn alle erfolgskritischen Hypothesen möglichst validiert worden sind, kann das Startup in die nächste Entwicklungsphase übergehen.
Lean-Startup-Merksatz: „Nicht lange planen, machen und testen!
Ähnlich wie die Entwicklungskonzepte Design Thinking, Scrum oder Lean Canvas geht es bei Lean Startup um das schrittweise empirische Annähern (iterativer Prozess) an eine Lösung. Im Kern besteht diese Art des validierten Lernens aus drei Schritten: Bauen, Messen, Lernen (Build, Measure, Learn = BML).
1. Bauen: zum Beispiel eine erste Beta-Version, ein interaktiver Prototyp, eine Landingpage o. ä.
2. Messen: Kundenfeedback einholen – Welche Wirkung erzielt die erste „Version“ bei Kunden, Experten, auch Freunden usw.?
3. Lernen: Welche Rückschlüsse auf die Akzeptanz des Produkts lassen sich aus den Daten ziehen?
Danach werden die Schritte mit den gewonnenen Ergebnissen von vorne wiederholt. Aus der ersten Version entsteht so Schritt für Schritt eine verbesserte Version des Modells, die wiederum verbessert wird und so weiter.
Die Crux dabei: Schnelligkeit und Wendigkeit! Der BML-Zyklus im Lean Startup sollte möglichst schnell durchgeführt werden. Sonst sind Zeit und Geld schneller aufgebraucht, als die eigenen Annahmen geprüft und validiert sind. Und keine Angst vor Kurswechseln! Selbst große radikale Richtungswechsel (Pivots) „repräsentieren […] eine spezifische Veränderung, mit deren Hilfe eine neue grundlegende Hypothese bezüglich des Produkts, des Geschäftsmodells oder des Wachstumsmotors auf Herz und Nieren überprüft werden soll“, so Eric Ries.
Ein weiterer Vorteil: Mithilfe des Kundenfeedbacks kann schnell auf Wünsche oder Änderungen reagiert werden, ohne dass große Kosten entstehen.
Lean-Startup-Merksatz: „Wenn die Idee keiner mag und will, wirf sie über den Haufen und fang von vorne an!“
Knackpunkt im Innovationskreislauf ist der Punkt „Bauen“ oder besser gesagt, das erste Produkt, mit dem in den Innovationszyklus gestartet wird. Der schlanken, lernenden Methodik entsprechend ist hier das kleinste realisierbare Produkt gefragt, mit dem gestartet werden kann: das MVP – Minimum Viable Product.
Je nach Geschäftsmodell kann das MVP quasi alles sein:
• Eine Betaversion einer Software, die auf wenige Funktionen beschränkt ist.
• Eine Landingpage, die erst einmal das Interesse an einer Idee, an einem Service überprüft.
• Ein Blogartikel, ein Podcast, ein Video.
Das Schöne am MVP: Es muss einfach nur funktionieren. Das Aussehen ist dabei völlig zweitrangig.
Lean-Startup-Merksatz (nach LinkedIn-Gründer Red Hoffmann): „Wenn dir dein MVP nicht peinlich ist, warst du nicht schnell genug.“
Startups, die nach der Lean-Methode ihr agiles Geschäftsmodell entwickeln, sind bei Investoren beliebt. Auch deshalb, weil sich aus den einzelnen Fortschritten der Startup-Entwicklung und den wichtigsten KPIs (Kennzahlen) eine Innovationsbilanz ergibt – ausgehend von den ersten Annahmen hin zum im Businessplan angepeilten Ziel. Diese Bilanz wandelt die getroffenen Annahmen in ein quantitatives Finanzmodell um.
Welche KPIs dabei angesetzt und welche Metriken verwendet werden sollten, ist durchaus umstritten und gar nicht so einfach herauszufinden: Bewerte ich Erfolg durch Nutzerzahlen, Monatsumsätze, oder Metriken wie zum Beispiel A/B-Tests?
Hier geht es darum, sich nicht durch den Wust möglicher Kennzahlen verwirren zu lassen. So sind hohe Nutzerzahlen oder Monatsumsätze zwar schmeichelhaft, haben aber nur begrenzte Aussagekraft. Wichtiger für agile Startups sind, so auch Lean-Startup-Erfinder Ries, die Rentabilität jedes einzelnen Kunden, die Kosten der Neukundenakquisition und die Anzahl der Wiederholungskäufe von Bestandskunden.
Alle drei hängen wiederum von drei Wachstumsmotoren ab: dem „zähen, dem viralen und dem bezahlten Wachstumsmotor.“ Empfehlenswert für Startups ist die Fokussierung auf einen Wachstumsmotor, was in der Regel Ineffizienz und schwächeres Wachstum vermeidet. Die Innovationsbilanz hilft dabei, den passenden Wachstumsfokus des eigenen Geschäftsmodells und Produkts zu bestimmen.
Lean-Startup-Merksatz: „Konzentriere Dich auf einen Wachstumsmotor!“
Ein schönes Beispiel für die Lean-Methode und die Philosophie dahinter ist Dropbox. Die Dropbox-Gründer Drew Houston und Arash Ferdowsi entwickelten ihre Anwendung nicht im stillen Kämmerlein, sondern erstellten gleich eine einfache Teaser-Page. Dort konnten Interessierte ihre E-Mail-Adresse eintragen, um die Beta-Version des Produkts zu erhalten. Angekündigt wurde die Beta-Version zunächst in Tech-Foren und Tech-Blogs. Die Idee kam so gut an, dass sie sich rasend schnell viral verteilte. Innerhalb weniger Stunden erhielten die Gründer so 75.000 E-Mails von interessierten Nutzern. Schon allein aufgrund der riesigen Nachfrage machte es Sinn, weiter in die Entwicklung zu investieren.
• Agile Startups vermeiden von Anfang an, ein Produkt zu entwickeln und zu vermarkten, dass niemand haben möchte.
• Lean Startups erhalten sehr zügig effiziente Informationen, die den Kunden wichtig sind. Das verkürzt die Entwicklungszyklen hin zum Product-Market-Fit.
• Falsche, für den Markt irrelevante Annahmen werden schnell und kostengünstig entdeckt. Das steigert wiederum die Chancen auf den Markterfolg.
• Annahmen über Kundenbedürfnisse, die Marktrelevanz des Produkts und die Größe des Marktes werden explizit mit tragfähigen Zahlen untermauert.
• Im optimalen Fall fallen keine überflüssigen Aufgaben an und es wird keine wertvolle Zeit verschwendet.
• Investoren erhalten von Beginn an verlässliche Kennwerte, die für die mögliche Finanzierung entscheidend sind.
• Persönlicher Kundenkontakt ist (fast) alles: Für qualitative Aussagen braucht es den direkten persönlichen Kundenkontakt. Also rausgehen und die Kunden fragen.
• Viele aufgestellte Hypothesen werden nicht zutreffen. Kein Grund zur Entmutigung. Aus Kundenfeedback, Analysen und Innovationsbilanz ergeben sich viele neue Chancen.
• Wer gleich sicher ist, das seine Innovation konkrete Probleme löst, sollte auch gleich quantitative Verfahren nutzen, um den Product-Market-Fit zu bestätigen.
• Vielfalt schadet nicht. Verschiedene Fähigkeiten und Expertisen im Team unterstützen das Lean-Startup-Vorgehen zusätzlich. Hohe Diversität ist das Stichwort.
• Für agile Entwicklung ist es nie zu spät. Auch wer schon viel Aufwand in die Konzeption seines Services gesteckt hat, kann wichtige Annahmen weiterhin qualitativ und quantitativ prüfen.
Auch wenn Lean Startup inzwischen ein gängiges Modell für eine agile Geschäftsentwicklung ist und breit angewendet wird, treten immer noch viele Missverständnisse bei der Anwendung auf. Hier fünf Fallen, in die Lean Startups treten können.
Falle 1: Ein bisschen agil hier und da wird schon reichen
Lean Startup geht nur ganz oder gar nicht. Sie ist eine umfassende Methode, die als Ganzes umgesetzt werden muss. Sich nur wenige Aspekte aus dem Gesamtkonzept rauszugreifen und in Einzelbereichen oder mit nur wenigen Mitarbeitern umzusetzen, reicht nicht.
Wer so verfährt, schafft nur Insellösungen. Wenn Lean Startup etwa nur in der Fertigung eingesetzt wird, können die Prinzipien nicht im gesamten Unternehmen greifen. Wer dazu nicht bereit ist, sollte überdenken, ob ein Lean Startup oder auch Lean Management-Methoden wirklich zur eigenen Transformation passt. „Thinking different“ ist nicht immer für jeden etwas.
Falle 2: Hauptsache, es ist billig
Es stimmt zwar, dass der agile Ansatz die Kosten niedrig halten will. Im Kern geht es aber um Geschwindigkeit. Lean Startups verbrauchen nur wenig Geld, weil sie ihre Produkte und Ideen diszipliniert immer und immer wieder testen.
Falle 3: Lean ersetzt Führung
Wie alle Philosophien muss Lean Startup gelebt werden, vor allem durch Geschäftsführung und Führungskräfte. Das gilt für alle Unternehmensgrößen, ob Startup oder Konzern.
Führungskräfte, die die Startup-Methode bereits gut kennen, haben es natürlich leichter. Geschäftsführer, die den schlanken Ansatz nicht kennen, sollten sich genau erkundigen, was Lean Management bedeutet und wie es funktioniert. Ein Besuch bei Firmen, die die Methode bereits anwenden, kann sicher nicht schaden. Auch eine Innovationsberatung kann durchaus sinnvoll sein, um die Lean-Kultur im eigenen Unternehmen gewinnbringend anzusiedeln.
Falle 4: Keine Teamarbeit
Der Geschäftsführer ist hoch motiviert, die Mitarbeiter haben aber keinen Bock. Kann Lean Startup so funktionieren? Nein! Ohne Teamarbeit gibt es auf Dauer keine erfolgreiche Entwicklung, sei es Lean Startup, Design Thinking, Scrum oder eine anderer Ansatz. Es braucht Zusammenarbeit – ein Team, das gemeinsam Verschwendung reduzieren, Standards entwickeln und Produkte kontinuierlich verbessern will.
Falle 5: Investoren stehen „nur“ auf Lean Startups
Startups mit Lean-Ansatz haben bei Investoren einen Stein im Brett. Sie mögen es, wenn Startups früh herausfinden, ob Technologie, Produkt und Geschäftsmodell funktionieren, bevor sie zu viele Ressourcen verschwenden. Aber: Es ist nicht das einzige Kriterium für Investoren bei einer Finanzierungsrunde! Unternehmen, Gründer, Team und Persönlichkeit sind ebenfalls nicht zu unterschätzen.
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