Das Team von poqit.berlin entwickelte das erste intelligente Portemonnaie mit integriertem Akku, um damit Smartphones kabellos aufzuladen. Für die Umsetzung ihrer Idee erhielten Martin Volmerding, Timo Golomski und Marko Berndt erst das EXIST-Stipendium und später auch die Unterstützung von 490 Companisten. Doch etwas mehr als ein Jahr nach der Crowdinvesting-Kampagne über Companisto musste das Gründertrio die Arbeit an poqit.berlin einstellen. Wir haben mit Martin Volmerding über die Hintergründe der Liquidation gesprochen.
André Jasch: Ihr habt kürzlich die Liquidation von Poqit beschlossen. Was führte dazu? Gab es einen einzelnen Grund oder wirkten hier unglückliche Umstände zusammen?
Martin Volmerding: Es war sicher eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. Der erste schwere Rückschlag kam im Winter 2016: Nach Rücksprache mit einigen Produzenten, die uns davon abrieten, unsere Technik in das Lederportemonnaie einzunähen, sahen wir uns gezwungen, unser Produkt-Design komplett umzustellen, was natürlich zusätzliche Kosten verursachte. Dazu waren wir lange auf der Suche nach einem Investor, der genauso sehr von der Idee überzeugt ist wie wir. Doch es gestaltete sich extrem schwer, einen Investor für ein Hardware-Produkt zu finden. Vielen Investoren ist der Hardware-Bereich zu risikoreich. Häufig scheiterte der Einstieg daran, dass der Investor den Markt für unser Produkt für zu klein hielt, um damit auf lange Sicht profitabel zu sein. Wir haben dann versucht, mit einer Kickstarter-Kampagne im Mai 2017 noch einmal Kapital für die Gesellschaft einzusammeln.
André Jasch: Ab welchem Punkt wussten ihr, dass Poqit Probleme hat? Wie seid ihr damit umgegangen und wie habt ihr reagiert?
Martin Volmerding: Schon vor der Kickstarter-Kampagne war klar, dass es Engpässe im Unternehmen gibt. Wir haben dann viele Hoffnungen in die Kooperation mit dem Lederwarenhersteller BREE gesetzt, den wir als Kooperationspartner und Produzenten gewinnen konnten. Doch leider hatte die Zusammenarbeit mit BREE nicht den gewünschten Effekt gebracht, da unsere Zielgruppen nicht gut zueinander passten. Die Kunden von BREE waren weniger technik-affin als erhofft und so konnten wir durch die Kooperation kaum neue Kunden gewinnen. Dann startete im Mai 2017 unsere Kickstarter-Kampagne und wir wussten, dass wir einen guten Start in der ersten Woche der Kampagne hinlegen müssen, um erfolgreich zu sein. Doch trotz der Unterstützung einer PR-Agentur konnten wir nicht genügend Aufmerksamkeit erzeugen, die Kickstarter-Kampagne scheiterte. Daraufhin war klar: Es wird nun ganz schwer, das Ruder noch einmal rumzureißen.
Im Sommer 2017 ist dann Marko (Mitgründer von Poqit, Anm. d. Red.) aus persönlichen Gründen aus dem Unternehmen ausgeschieden, sodass Timo und ich die letzten Versuche, das Unternehmen zu erhalten, zu zweit unternommen haben.
André Jasch: Ihr seid bei dem Versuch, poqit weiterzuführen, an eure Belastungsgrenzen gestoßen. Wie liefen die letzten Wochen und Monate für euch ab?
Martin Volmerding: Bis zum Herbst, also wenige Wochen vor der Liquidation, haben wir nochmal alles versucht. Wir haben die Produktentwicklung herunter gefahren, um Kosten zu sparen und stattdessen alle Kräfte auf die Investorensuche konzertiert, denn wir brauchten dringend frisches Kapital. Wir haben versucht, alle Kräfte zu mobilisieren und alle Kontakte zu nutzen, aber es hat am Ende nicht gereicht. Nachdem uns auch der letzte Geldgeber eine Absage erteilt hatte, blieb uns nichts anderes übrig, als die Liquidation einzuleiten. Alle Kapitalreserven des Unternehmens waren aufgebraucht und wir Gründer verfügten über keinerlei Rücklagen, um das Unternehmen hauptberuflich fortzuführen.
André Jasch: Ihr habt euch für die Liquidation entschieden, statt bis zur Insolvenz zu warten. Warum?
Martin Volmerding: Es gab ja nicht einmal genügend Anlagevermögen, um einen Insolvenzverwalter zu bezahlen, also wäre ein Insolvenzverfahren vermutlich ohnehin mangels Masse eingestellt worden. Statt also auf eine Insolvenz an irgendeinem Tag in der Zukunft zu warten, haben wir uns schließlich schweren Herzens auf der Gesellschafterversammlung dazu entschieden, Poqit zu liquidieren. Dieser Schritt ist uns sehr schwer gefallen, da wir nicht nur sehr viel eigenes Geld, Zeit und Herzblut in die Firma investiert haben, sondern auch die Companisten, enttäuschen mussten. Im Kreise der Companisten waren ja auch viele Freunde und enge Angehörige unserer Familien. Wir haben in den letzten Monaten alles Erdenkliche versucht, um Poqit erfolgreich zu gestalten. Leider hat es nichts genützt.
André Jasch: Gibt es Dinge, die ihr rückblickend anders machen würdet?
Martin Volmerding: Ich glaube, wir haben uns zu lange an der Produktentwicklung aufgehalten. Wir wollten alles perfekt machen und haben viel Zeit in zusätzliche Funktionen gesteckt. Dabei hätten wir rückblickend betrachtet wahrscheinlich viel schneller mit einem MVP (Englisch: „Minimal Viable Product“, Deutsch: Produkt mit minimalen Anforderungen und Eigenschaften, Anm. d. Red.) auf den Markt gehen sollen. Wir waren da zu detailverliebt und wollten auf unsere Innovationen nicht verzichten. Aufgrund der in jedem Fall aufzubringenden Produktionskosten war diese Möglichkeit dann auch bald nicht mehr realisierbar.
André Jasch: Was bedeutet die Liquidation für die Companisten?
Martin Volmerding: Bei der Liquidation werden die Vermögenswerte durch die Liquidatoren, also der bestehenden Geschäftsführung, verkauft und kommen der Liquidationsmasse zu Gute. Die Companisten müssen - im Gegensatz zu einer Insolvenz - ihre Forderungen nicht anmelden, denn sie werden automatisch berücksichtigt. Durch die Liquidation und das damit verbundene Sperrjahr gewinnen wir noch etwas Zeit. Wir haben noch eine laufende Patent-Anmeldung und wenn das Patentamt die Anmeldung billigt, könnte das Patent eventuell noch verkauft werden. Dies ist aus unserer Sicht die einzige Möglichkeit, etwas Geld aus dem Unternehmen zu machen und den Companisten zurückzugeben. Da die Gesellschaft keinerlei ausstehende Zahlungsverpflichtungen hat, würden die Companisten als einzige von einem Patentverkauf profitieren.
André Jasch: Was könnt ihr aus der jetzigen Situation mitnehmen? Gibt es vielleicht auch die Chance eines Neuanfangs?
Martin Volmerding: Ich bin nach wie vor von der Produktidee überzeugt und hoffe, dass sie sich doch noch am Markt durchsetzen wird. Ich könnte mir sogar vorstellen, die Idee unter anderen Vorzeichen selbst noch einmal aufzugreifen. Alles in allem war es eine sehr aufregende Zeit und wir haben enorm viel gelernt. Als Gründer lernt man ja nicht nur wirtschaftliches Knowhow, sondern bekommt auch Einblicke in viele verschiedene Bereiche, vom Design des Prototyps über die Kommunikation mit Stakeholdern bis hin zur Produktion. Man lernt, auch angespannte Situationen mit der nötigen Lockerheit anzugehen und immer nach einer schnellen Lösung zu suchen. Ich bin sehr stressresistent geworden und weiß die Dinge besser in einen größeren Kontext einzuordnen. Von diesen Erfahrungen werde ich persönlich noch lange profitieren.
André Jasch: Deutschland ist nach Singapur der Ort, an dem das Scheitern am wenigsten toleriert und am stärksten stigmatisiert wird, so eine Studie der Universität Lüneburg. Welche Erfahrungen habt ihr als Gründer mit dieser Verurteilung von Fehlern gemacht?
Martin Volmerding: Wir haben fast ausschließlich positive Erfahrungen im eigenen Umfeld gesammelt. Familie und Freunde haben uns immer unterstützt und bis zum Schluss mitgefiebert. Und auch später, bei der Suche nach einem neuen Arbeitgeber, haben wir keine Verurteilung erlebt. In einigen Bewerbungsgesprächen wurde es uns durchaus positiv angerechnet, dass wir versucht haben, selbstständig etwas aufzubauen. Ich denke, dass auch unsere offene Kommunikation dazu beigetragen hat, dass es seitens der Companisten zu keinen bösen Überraschungen kam. Durch diesen transparenten Ansatz fielen die Reaktionen deutlich weniger negativ aus als erwartet.
André Jasch: Vielen Dank für das Gespräch, Martin.
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