Egal ob Elon Musk, Jack Dorsey oder Drew Houston: Startup-Gründer werden als die neuen Rockstars gefeiert. Doch das Leben eines Gründers ist nicht nur Glamour, sondern vor allem harte Arbeit. Lange Arbeitstage, häufige Nachtschichten und dazu noch jede Menge Pitch-Reisen, Investoren-Treffen und Pressetermine gehören für viele zum Alltag.
„Ganz ausschließlich glamourös ist die Sache mit dem Gründen nicht. Die Wahrheit ist: Gründen ist herausfordernd. Immer wieder kommen Zweifel. Ängste. Harte Entscheidungen. Die Sorge um das Geld. Die Sorge um den Erfolg. Erwartungen. Zeitmangel.“, beschreibt Nora-Vanessa Wohlert, Mitbegründern von Edition F, die Schattenseiten des Gründerdaseins.
Der Druck auf junge Gründer, sich selbst zu optimieren, ist also immens hoch. So mancher Jungunternehmer greift sogar zu legalen und illegalen Substanzen, um den entscheidenden Vorteil vor der Konkurrenz zu haben. Denn die Konkurrenz schläft bekanntlich nie. Der Trend zur Selbstoptimierung mithilfe von Drogen hat – wie sollte es anders sein – seinen Ursprung in den USA, genauer im Silicon Valley.
George Burke ist Gründer eines Food-Startups im Silicon Valley. Früh am Morgen, noch bevor der Tag für George so richtig Fahrt aufgenommen hat, nimmt er einen Cocktail aus 25 verschiedenen Pillen zu sich: Vitamine, Mineralien, Muskelaufbaupräparate, noch wenig erforschte Medikamente und eine Mikrodosis LSD. Den Großteil der Substanzen hat George übers Internet gekauft. Er verspricht sich davon einen kognitiven Vorteil im harten Wettbewerb des Silicon Valleys.
„Es ist nicht so, dass jeder Mitarbeiter eines Tech-Unternehmens im Silicon Valley Nootropics [leistungssteigernde Ergänzungsmittel, Anm. d. Red.] nimmt, um voranzukommen“, zitiert die Washington Post den jungen Startup-Gründer. „Es sind die wenigen, die vorankommen, die Ergänzungsmittel benutzen, um das zu tun.“
In den USA sind leistungssteigernde Mittel auch als „Neuro Enhancer“, „Nootropics“ oder einfach als „Smart Drugs“ bekannt. Dabei handelt es sich um Wirkstoffe und Ergänzungsmittel, die die Leistungsfähigkeit des Gehirns steigern sollen. Sie machen kreativer, fokussierter oder stressresistenter – alles Eigenschaften, die bei den Tech-Konzernen aus Kalifornien stark gefragt sind.
Neuro-Enhancer lassen sich grob anhand ihrer beabsichtigten Wirkungen unterteilen: eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten (Denken, Gedächtnis, Lernen, Aufmerksamkeit, Anpassungsfähigkeit und Kreativität sowie Entscheiden, Planen und Probleme lösen) oder eine Verbesserung des psychischen Wohlbefindens (also gegen Unsicherheit, Unwohlsein, Schüchternheit, Stress, etc.). Beide Formen sind in Wirtschaftskreisen verbreitet, aber vor allem die Substanzen zur Steigerung der kognitiven Fähigkeiten werden in der Startup-Szene zur Selbstoptimierung genutzt.
„Unternehmer und Manager neigen wie andere Leistungseliten dazu, ihre persönlichen Grenzen mit Pillen erweitern zu wollen“, zitiert die WiWo Professor Curt Diehm, Ärztlicher Direktor der Max-Grundig-Klinik in Bühl. In seiner Klinik werden seit Jahrzehnten Führungskräfte der Wirtschaft behandelt.
Darüber hinaus lassen sich Neuro-Enhancer in drei Kategorien einteilen: Stimulanzien, Antidementiva und Antidepressiva. Bei allen drei Typen handelt es sich in der Regel um Psychopharmaka, also um Medikamente, die gezielt auf die Psyche des Menschen einwirken. Koffein, Nikotin, Energydrinks und Zartbitterschokolade können bereits als milde Neuro-Enhancer betrachtet werden.
Dagegen liegen Ritalin, Adderall (beides Medikamente zur Behandlung von ADHS), Donepezil (Medikament zur Behandlung von Demenz) und Modafinil (Medikament zur Behandlung von Narkolepsie) am anderen Ende des Spektrums. Diese verschreibungspflichtigen Präparate erhöhen die kognitive Leistungsfähigkeit, denn sie machen wacher, konzentrierter und verbessern das Gedächtnis.
„Insofern sind Neuro-Enhancer ideale Managerdrogen, die tatsächlich in erheblichem Umfang eingesetzt werden“, so Professor Diehm weiter. Dagegen würden Amphetamine vorwiegend in Branchen konsumiert, die durch intensive Projektarbeit und strikte Deadlines geprägt sind, etwa bei Unternehmensberatungen oder Werbeagenturen.
Auch die Mikrodosierung von LSD wird zunehmend als Mittel zur Steigerung der Produktivität und Kreativität angesehen. Seinen Ursprung nahm auch „Microdosing“ im Silicon Valley, bevor er auch hierzulande Fuß fasste. Für einen LSD-Trip mit Halluzinationen und Reizüberflutung der Sinne sind etwa 50 bis 100 Mikrogramm der psychoaktiven und illegalen Droge nötig.
Ein solcher Trip kann auch verdrängte und unterbewusste Erlebnisse hervorrufen, einschließlich negativer Erfahrungen. Bei einer Mikrodosierung wird jedoch nur etwa ein Zehntel dieser Dosis konsumiert – zu wenig, um eine psychedelische Wirkung zu erzeugen. Denn die Konsumenten haben kein Interesse an einer solchen Wirkung, sondern wollen durch die Einnahme produktiver und kreativer werden.
„Ich konsumiere keinen Kaffee, sondern LSD“, sagte Diane, eine Startup-Gründerin aus dem Silicon Valley der Financial Times. Die Mikrodosierung habe ihre Produktivität, Kreativität und Konzentration verbessert. Auf LSD sei sie in der Lage, sich bei der Entwicklung der Unternehmensstrategie zu konzentrieren, durch User-Design-Sessions zu gleiten und spielend neue Kontakte zu knüpfen. Ähnlich beschreibt es Kai, Mitarbeiter einer Werbeagentur, in der Zeit. Sein Arbeiten habe sich verändert. Er habe das Gefühl, das LSD mache ihm „den Kopf frei“. Seine Probleme würden kleiner, er könne befreiter denken und mache sich nicht mehr so viele Sorgen.
„Als Gestalter frage ich mich ja bei jeder Idee und bei jedem Entwurf: Gefällt das dem Chef? Und dem Kunden? Mit Microdosing hörte das Grübeln auf. Man macht einfach mal, ist fokussierter und motivierter. Und kreativer, weil die Blockaden weg sind. Aber ich würde auch sagen: Wenn du kein kreativer Mensch bist, macht dich auch LSD nicht zum Künstler.“
Die Financial Times sprach mit einer Reihe von Mikrodosierern, die alle gebeten haben, ihre wirklichen Namen zurückzuhalten, weil die Droge illegal ist. Bei allen handelte es sich um hochmotivierte Profis, die meisten arbeiten in der Technologiebranche und leiten oft ihre eigenen Startups.
Sie alle berichteten, dass sie LSD als Werkzeug zur Steigerung der Produktivität unter Druck, zur Findung der von Wissensarbeitern geforderten Ideen und zur Verbesserung ihrer Konzentration in einer Welt voller Ablenkungen (die oft von der Tech-Industrie geschaffen wurde) nutzten.
Die Mikrodosierer im Silicon Valley wollen den schlechten Ruf der psychedelischen Droge überwinden und das Talent der Technologieindustrie nutzen, globale Gewohnheiten zu verändern, um LSD irgendwann so akzeptabel wie Kaffee zu machen. „LSD ist eine sehr flexible Substanz. Es verstärkt alles, was in Ihrem Gehirn passiert. Sie verstärkt das, was in unserer Gesellschaft geschieht. Wir sind alle produktivitätsbesessen, also ist das unser Gebrauch davon“, so Diane weiter.
Die Akzeptanz von Neuro-Enhancern mittels Psychopharmaka ist in Deutschland erstaunlich groß, obwohl es sich ja um einen Missbrauch handelt, da Medikamente ohne medizinische Indikation genommen werden. Das ergab eine repräsentative Bevölkerungsbefragung im Auftrag der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) im Jahr 2009.
Befragt wurden mehr als 3.000 Erwerbstätige im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Mehr als ein Viertel der Teilnehmer sieht Hirndoping mit Pharmaka als vertretbar an, wenn damit im Beruf die Aufmerksamkeit sowie die Gedächtnis- und Konzentrationsleistung gesteigert werden sollen.
Weitere Umfragen in Deutschland zeigen, dass Menschen einem „IQ-Doping“ besonders positiv gegenüberstünden, wenn keine Nebenwirkungen zu befürchten seien und die Mittel legal erhältlich wären, berichtet die Pharmazeutische Zeitung. Unter diesen Bedingungen würden sogar 60 Prozent Präparate zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit nehmen.
Die potenziellen Risiken der Selbstoptimierung mittels Drogen sind jedoch groß. Bei LSD ist die Mikrodosierung noch nicht ausreichend erforscht. Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass es sich bei den beschriebenen, positiven Erfahrungen um einen Placebo-Effekt handelt. Von LSD in höheren Dosen weiß man aber, dass es Psychosen auslösen kann. Unter anderem deshalb ist die Droge seit 1971 weltweit verboten, da sie laut der UN-Konvention über psychotrope Substanzen „eine ernste Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ darstellt.
Was die anderen Neuro-Enhancer und Nootropika betrifft, ist die Fachwelt gespaltener Meinung. Es gibt trotz aller Risiken prominente Befürworter von Neuro-Enhancern. So setzt sich eine kleine Gruppe deutscher Psychiater, Juristen und Philosophen aktiv für das Neuro-Enhancement ein. „Wir vertreten die Ansicht, dass es keine überzeugenden grundsätzlichen Einwände gegen die pharmazeutische Verbesserung des Gehirns oder der Psyche gibt“, heißt es in ihrem Memorandum, das 2009 in der Zeitschrift „Gehirn und Geist“ erschien.
Die Autoren sind der Ansicht, dass das Bemühen um bessere geistige Leistungen zu den Grundprinzipien einer modernen Leistungsgesellschaft gehöre. Wenn dies mithilfe von Pharmaka gelingen könnte, sei daher auch die Einnahme von Neuro-Enhancern legitim und wünschenswert. So könnten Menschen ihre Leistungsanforderungen besser bewältigen und ihr Selbstbewusstsein steigern. Zudem habe jeder das Recht, über seinen Körper und Geist selbst zu entscheiden.
Grundsätzlich stellt die Einnahme dieser Präparate ohne medizinische Notwendigkeit einen Missbrauch dar. Die meisten Präparate unterliegen zudem der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtmVV). Ihr Gebrauch ohne Diagnose und Verschreibung ist daher illegal. Da die meisten Neuro-Enhancer Psychopharmaka sind, beeinflussen sie außerdem das Verhalten und können starke Nebenwirkungen haben. Diese Nebenwirkungen reichen laut Professor Diehm von Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Schlaf- und Herzrhythmusstörungen bis hin zu Angstzuständen. Amphetamine können darüber hinaus abhängig machen.
„Dem sehr begrenzten Nutzen stehen zum Teil erhebliche Risiken gegenüber. Methylphenidat und Modafinil weisen zahlreiche und nicht ungefährliche Nebenwirkungen auf; sie können abhängig machen und psychische Erkrankungen wie affektive Störungen, vor allem Manien, und Psychosen auslösen“, schreibt die Pharmazeutische Zeitung.
Außerdem würden Studien darauf hinweisen, dass die Effekte einiger Neuro-Enhancer dann am größten sind, wenn ein Leistungsdefizit besteht. So wirken Methylphenidat und Modafinil vor allem bei müden Menschen nach Schlafentzug. Bei jedem Neuro-Enhancement bestehe dazu die Gefahr, dass die Nutzer die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr erkennen können. So seien Müdigkeit und Erschöpfung deutliche Warnsignale, die zeigen, dass der Körper eine Erholungspause brauche.
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