Gemeinsam ab 250 Euro in innovative Startup-Unternehmen investieren

von Cristin Liekfeldt

Gründen - die Entscheidung zwischen Firma oder Kühlschrankinhalt

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Gründen - die Entscheidung zwischen Firma oder Kühlschrankinhalt

Thomas Müller, aufgeregt und etwas abgekämpft, steht im Treppenhaus einer Geburtsklinik und telefoniert. Obwohl, nein, er telefoniert nicht, er pitcht. Am anderen Ende der Leitung hören die Partner der AXA-Versicherung und Juroren im Startplatz zu und bewerten sein Geschäftsmodell, die Idee und irgendwie auch seine Person. Thomas Müller ist wahrscheinlich der einzige Mensch der Welt, der kurz nach der Geburt seines Sohnes nur mit einer Ikea-Quittung und einem Kugelschreiber im Treppenhaus einer Klinik steht und die Nerven hat, seine Vision zu pitchen.

Curassist ist eine Plattform für selbstorganisierte Pflege – wir begleiten Pflegeprofis in ihrer Freiberuflichkeit und nehmen ihnen die Verwaltungsaufgaben ab. Patienten und ihre Angehörigen haben außerdem die Möglichkeit, über Curassist die passende Pflegekraft zu finden.“ sagt er mit der ihm eigenen Begeisterung. Die Hand am kalten Geländer im hallenden Aufgang des Treppenhauses beschreibt er Geschäftsmodell und Strategien der neu gegründeten Plattform.

Der Startplatz und die AXA Versicherung sind begeistert. Obwohl man sonst nur persönlich und vor Ort pitchen darf, nehmen sie Thomas und seine Firma curassist in das Stipendium auf. 

Gründen ist, wenn die Woche 80 Arbeitsstunden zählt

Zu diesem Zeitpunkt ist die Idee von Curassist sicher schon zwei Jahre alt. Thomas, früher Produktionstechniker und Gründer der Firma Aeon-X GmbH, ist seit 11 Jahren selbst Pflegekraft. Die Idee zu Curassist begeistert ihn lange, doch aus dem Berufstätigen-Alltag heraus zu gründen ist schwer. „Ich habe zusätzlich zu meinen 50 Stunden pro Woche im Pflegeberuf ständig daran gearbeitet, Curassist aufzubauen - Versicherungen und Rechtsanwälte angerufen, Richtlinien abgeklopft, an der Strategie gefeilt. Das Geld, das ich durch meinen Job in der Pflege verdient habe, habe ich in Curassist investiert.“ erzählt er.

„Das Problem im Medizin-Sektor ist, dass die Lean-Startup- Methode nicht wirklich funktioniert. In einem so stark regulierten Markt wollen Behörden immer gleich das ganze, fertige Produkt sehen. Es geht schließlich um die Gesundheit von Patienten und sie können die Genehmigungen und die Anerkennung durch die Krankenkasse nur dann gewährleisten, wenn sie das fertige Produkt sehen. Man muss also immer in die finanzielle Vorleistung gehen. Das Logo, die Plattform, die Inhalte darauf – das alles musste erst einmal vorfinanziert werden.“

Thomas kündigt seine Arbeitsstelle. Von den 28 Lernenden aus Thomas‘ Pflegeklasse sind nur noch 4 im Beruf. Die Pflege von Menschen fordert viel - viel vom eigenen Leben. Mit einem Frauenanteil von rund 84 Prozent ist vor allem der Schichtdienst ein Problem – sobald die Frauen der Pflege selbst eine Familie gründen wollen, ist dies kaum noch möglich. Doch dann haben viele nur die Möglichkeit, stundenweise als Alltagshilfen eingesetzt zu werden – mit spürbaren Auswirkungen auf dem Gehaltskonto. Der Bedarf nach einer Lösung steigt.

Im Juli 2015 wird Curassist schließlich fertig: Drei Monate lang haben die AXA und das kleine Team – bestehend aus Thomas, seiner Frau Jessica und dem Berliner Programmierer Paul Kerspe – die Plattform aufgesetzt und die Beta-Version fertig gestellt.

Inzwischen ist Thomas‘ Sohn Elias auf der Welt – und sein Vater hält ihm schon einen Platz als Programmierer frei. Es stellt sich die Frage, wie er das geschafft hat.

Die Gründung einer Familie und ein 50-Stunden-Job als Pflegekraft ist an sich schon viel Arbeit. Aber Thomas gründet trotzdem eine Internetfirma. Anfangs bekommt er Unterstützung durch das Gründercoaching, später nimmt er einen Kredit bei der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) auf.

„Wir freuen uns natürlich über das Geld. Anders wäre das auch nicht zu bewerkstelligen. Aber was soll eine Plattform wie Curassist mit 50.000 Euro? Ich muss diese Summe ja nach einem Jahr wieder zurückzahlen. AirBnB im Vergleich, wurde 2008 gegründet und möchte in diesem Jahr das erste Mal schwarze Zahlen schreiben. Wie soll ich das also innerhalb eines Jahres schaffen?“ fragt Thomas in die Förderlandschaft. 


Thomas (im blau karierten Hemd) in der Teambesprechung
Thomas (im blau karierten Hemd) in der Teambesprechung


Die Förderung berufstätiger Gründer ist mangelhaft

Für Menschen, die aus ihrem Job heraus gründen wollen, fehlt eine adäquate Förderung. Die KfW stellt zwar Gelder bereit, aber für Startups ist es nicht besonders realistisch, nach einem Jahr die volle Kreditsumme zurückzuzahlen. „Es ist schon hart zu sehen, dass Exist-geförderte Startups neben mir im Co-Working-Space eine ganz andere Geschwindigkeit aufnehmen können als ich. Und vor allem mehr Geld zur Verfügung haben als ich mit meinem 50-Stunden-Job“, wundert sich der 41-jährige Gründer. Curassist lag teilweise monatelang auf Eis, weil das Auto zur Inspektion musste oder das Leben in einer anderen Weise dazwischengrätschte.

Für Innovationen aus den Berufen selbst gibt es keine Förderung, die ähnlich wie das Exist-Stipendium nicht zurückgezahlt werden müssen. „Laut dem KfW Gründungsmonitor 2016 werden 2 von 3 Gründungen ausschließlich durch eigene Finanzmittel des Gründerteams – ohne Fremdmittel – gestartet“, bestätigt Dr. Beate Baron vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. „Viele Gründungen aus einer abhängigen Beschäftigung erfolgen zunächst im Nebenerwerb. Von den 763.000 Existenzgründungen in 2016 erfolgten 479.000 im Nebenerwerb“, so Baron weiter.

Die Förderungslandschaft besteht vor allem aus zinsgünstigen, öffentlichen Förderdarlehen. Eine Möglichkeit ist der ERP-Gründerkredit StartGeld. Dieser beinhaltet unter anderem eine 80, 5 prozentige Haftungsfreistellung für die finanzierende Hausbank. Auch für Ich-AGs gibt es Förderung. Über das BMWi-Existenzgründungsportal werden die verschiedenen Förderkredite aufgezeigt. Doch für Startup-Gründer, die nicht nur in die Selbstständigkeit gehen wollen, sondern an einem Wachstumsunternehmen schrauben, sind Kredite eine Möglichkeit - nicht aber unbedingt ideal. Dabei wissen die Berufstätigen oft am besten, woran es in ihrem Tätigkeitsfeld mangelt, denn sie erleben es jeden Tag selbst.

„Wenn man nicht jeden Tag danach gucken muss, dass irgendwie der Kühlschrank voll wird, kann man ganz anders an eine Unternehmensgründung herangehen“, sagt Thomas. Seit Mai 2015 hat er kein Gehalt mehr bezogen. Familie Zielinski-Müller zog aus Köln weg und hinaus aufs Land – Das Wohnen in der Stadt ist zu teuer. „Wir haben außerdem um die Geburt unseres Kindes geplant, denn so konnte ich in der Elternzeit weiter an Curassist arbeiten. Das alles war nur durch eine gut funktionierende Teamarbeit und meine großartige Frau machbar“, schmunzelt Thomas. Für ihn gab es keine Alternative zu Curassist: Der Bedarf da, die Idee gut, also baut er aus ihr ein Unternehmen. Genauso wie 1997, als Thomas seine erste Firma gründete. Damals brach er sein Studium ab und legte einfach los.

Einfach mal machen ist gar nicht so leicht

Doch mit der Plattform verhält es sich anders als mit der Consulting-Firma. Der MedTech-Bereich ist stark reguliert, die Plattform muss programmiert und mit Inhalten gefüllt werden. „Unser Netzwerk hat es uns ermöglicht, trotz der schweren Voraussetzungen zu gründen. Rechtsanwälte haben abends stundenweise umsonst für uns gearbeitet, Freunde haben überall mit angepackt. Die Pflege ist ein Knochenjob, das muss man einfach sagen. Wir brauchten jede helfende Hand. Aber die Idee ist es einfach wert!“, erzählt der Gründer und streicht sein blau kariertes Hemd glatt.


Das Curassist-Team in klein: Jessica Zielinski-Müller, Entwickler Paul Kerspe und CEO Thomas Müller 
Das Curassist-Team in klein: Jessica Zielinski-Müller, Entwickler Paul Kerspe und CEO Thomas Müller 


Andere Menschen, die aus dem Beruf heraus gegründet haben, kennt Thomas nicht. Viele, die es versucht haben, besonders aus dem Bereich Maschinenbau, aber niemanden, der es bis zum Ende durchgezogen hat. Sie hatten finanziell keine Chance mehr gesehen.

Auf sogenannten „What-the-Fuck“ -Veranstaltungen lassen Thomas und andere Gründer ihrem Frust freien Lauf und tanken neue Energie – doch eine Lösung für die Förderung gründungswilliger Arbeitnehmer gibt es bisher nicht. 


Warum er dennoch das Risiko eingegangen ist?

„Ich sehe das nicht als Risiko. Aber ich muss zugeben, dass ich beim Babyschwimmen oft dasselbe gefragt werde, wenn ich mich mit den anderen Eltern unterhalte. Ich bin wohl doch einfach von Natur aus ein Gründer.“


 

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