Nikolas Samios blickt auf über 15 Jahre Erfahrung im Venture-Capital-Bereich zurück. Cooperativa, 1998 von Samios mitbegründet, berät Startups und Investoren im Bereich Venture Capital, betreut die Portfolios von privaten Investoren und kümmert sich um die Fondsverwaltung. Mit über 200 Transaktionen von Unternehmen – vom Firesale bis zum Börsengang – hat Nikolas Samios mehr als genügend Erfahrung, um mit uns tief in die Materie „Venture Capital“ einzusteigen.
Nikolas, du warst als Gründer noch auf der Seite der nach Kapital suchenden Unternehmer. Jetzt bist du selbst Venture-Capital-Investor. Du hast quasi die Seiten am Verhandlungstisch gewechselt. Warst du denn als Gründer auf der falschen Seite?
Nikolas Samios: Naja, der Gründer, der zum Investor geht und Geld haben will, ist oftmals gefühlt in der defensiven Bittstellerposition. Das stimmt aber nur bedingt: Ein gutes Gründerteam, was Traktion, ein gutes Modell, ein gutes Team hat, das wird das Geld immer bekommen. Die können sich vielleicht sogar aussuchen von wem. Da gibt es dann sogar einen Wettbewerb unter den Investoren.
Interessant ist es aber auch, wenn man auf der anderen Seite sitzt, also auf der, bei der das Geld liegt. Aber mir macht beides viel Spaß, ich verspüre hier eine große inhaltliche Motivation.
Wir haben z.B. auch schon darüber diskutiert, ob wir aus dem eigentlich ja kleinvolumigen Bereich VC rausgehen und eher größere Deals machen, etwa im Private Equity Umfeld oder im klassischen Konzern, statt immer mit Startups zu arbeiten.
Allerdings beschäftigst du dich dann den ganzen Tag damit, wie hoch die Fremdkapitalquote ist und wie viel Zins eine Bank verlangt. Das ist so weit weg davon, dass du mit einem Team, einem Produkt, irgendetwas Kreativem arbeitest, dass das persönlich einfach nicht erfüllend ist. Wenn du z.B. für die Deutsche Telekom ein Konzept entwickelst, ist das nett, aber du wirst damit keinen wirklichen Impact auf das ganze Unternehmen erzielen, also nicht maßgeblich beeinflussen, wie sich die Telekom morgen verhält. Arbeitest Du jedoch mit Startups hast Du diesen Impact – du kannst die Firmen also wirklich nach vorne bringen. Das finde ich persönlich viel interessanter.
Venture Capital ist ein Wagnis, Risikokapital. Muss man ein bisschen verrückt sein, um in Startups zu investieren?
Nikolas Samios: Eher das Gegenteil: Du hast ein systeminhärentes Risiko, wenn du in Startups investierst. Aber nicht nur in Startups, sondern generell wenn du in Unternehmen investierst. Mittlerweile ist es gefühlt auch ein Risiko, wenn du in Staatsanleihen investierst.
…zusätzlich zur Gewissheit, dass du mit Negativzinsen zu rechnen hast.
Deswegen: Risiko ist die Umkehrfunktion von Rendite. Oder andersherum: Hast du kein Risiko, hast du keine Rendite. Das ist ein direkter mathematischer Zusammenhang in einem funktionierenden Markt. Deswegen musst du Risiken eingehen, um eine Rendite zu bekommen. Das ist ja das Problem: Wir haben sehr viel Geld im System, aber du bekommst nirgendwo mehr eine vernünftige Verzinsung in den klassischen Anlageklassen, denk nur mal an das Sparbuch oder dein Girokonto. Deswegen schauen sich die Leute sehr stark unternehmerische Investments an. Das gilt sowohl für den „Average Joe“ als auch für große, institutionelle Investoren.
Wenn man sich Investitionen in Startups anschaut, kann man interessante Renditen machen. Aber es ist ein System, was naturgemäß eben auch risikoreich ist. Deswegen muss man Risiken richtig managen, deswegen ist das auch das genaue Gegenteil von verrückt. Eher rational und überlegt. Um dieses Chaos-Element zu reduzieren, kontrollierbar zu machen, braucht es Methodik. Du wirst das Risiko nie ganz rauskriegen, sonst bekommst du wieder null Prozent Zins. Aber du kannst Venture Investments machen, mit einer Methodik, die die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, dass du mehr Hits als Flops hast. Denn um die Rendite über ein ganzes Portfolio hinweg geht es ja letztendlich.
Was reizt dich denn am meisten am Venture Capital? Du hast gerade schon das kreative Arbeiten mit Startups angesprochen. Was noch?
Nikolas Samios: Wenn du jetzt eine Firma gründest und mit der Firma im Schnitt fünf, sechs Jahre beschäftigt bist, machst du in dieser Zeit dieses eine Thema mit Haut und Haaren. In der Regel eher 100 als 40 Stunden die Woche. Das ist super spannend und intensiv, aber eben monothematisch. Bist du aber in der VC-Branche unterwegs, siehst du in der gleichen Zeiteinheit 5000 Firmen oberflächlich, 500 im Detail und bist an 50 beteiligt. Du siehst viel mehr und lernst viel mehr. Der Nachteil ist: Du bist nirgendwo richtig tief drin. Du bewegst dich eher auf der horizontalen Ebene und eben nicht auf einer tiefen Vertikalen.
Irgendwann musst du dich entscheiden, ob du dieser vertikale Experte bist – Serienunternehmer wie zum Beispiel Christian Vollmann. Er macht immer ein Projekt nach dem anderen und im halben Jahr dazwischen Investments als Business Angel, aber das Investieren befriedigt ihn nicht wirklich. Er sucht im Prinzip immer nach der nächsten Idee und dann taucht er wieder für mehrere Jahre in das nächste vertical [eine Branche, einen Wirtschaftszweig, Anm. d. Red.] ein. Das sind die Menschen, die die Fähigkeit haben, ein Unternehmen von A bis Z hochzuziehen.
Die andere Fraktion bleibt lieber in der horizontalen Ebene. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass ich der bessere Unternehmer bin – um Gottes Willen. Ich glaube aber, dadurch dass ich in kurzer Zeit viel sehe, kann ich versuchen, durch pattern matching [Mustererkennung, Anm. d. Red.] dieses Wissen an die Gründer zu transportieren und Dinge vielleicht zu beschleunigen oder den ein oder anderen Fettnapf auf dem Weg früh genug zu erkennen. Mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit – es ist niemals Gewissheit – kann ich sagen: Es könnte sein, dass du auf dieses oder jenes Problem zuläufst. Lass uns doch noch mal überlegen, ob wir nicht mit dieser Maßnahme dieses Problem umgehen und das Risiko rausnehmen können. Und deswegen glaube ich, wenn du irgendwann auf dieser horizontalen Ebene bist, macht es auch Sinn, da zu bleiben. Du ziehst den Wert aus der Vielzahl von Eindrücken und Erfahrungen.
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Was macht denn einen guten Investor aus?
Nikolas Samios: Der gute Investor weiß, dass er immer maximal auf dem Beifahrersitz sitzt, eher sogar auf dem Rücksitz. Er sollte nicht anfangen, selbst der Manager sein zu wollen. Er muss da eine gewisse Coolness haben und vor allem auch Respekt vor der Leistung des Gründers. Wenn er glaubt, er weiß alles besser und den Gründern ständig reinredet, dann ist er als Investor ungeeignet oder hat schlicht ein schlechtes Investment gemacht. Denn dann geht er davon aus, dass der Gründer es selbst nicht kann.
Thema Methodik: Was gehört denn zu den Fähigkeiten eines guten Investors und wie bildet man diese aus?
Nikolas Samios: Man kann nicht ein, zwei Investments machen und dann sagen, man hat methodisch korrekt Geld angelegt. Das geht nicht, das beinhaltet ein viel zu hohes Klumpenrisiko. Du musst ein ganzes Portfolio anlegen, eher 10, besser 20 oder 30 Investments machen. Dabei musst aufpassen, dass du nicht fünfmal in das gleiche vertical investierst, dann hast du auch ein Sektor-Klumpenrisiko. Du musst immer auf die Qualität der involvierten Personen achten – haben die Gründer schon einen track record, wie ist die Qualität der Co-Investoren und so weiter. Es gibt eine ganze Liste von Themen, mit denen du das Risiko für einen Deal reduzieren kannst.
Wenn Du über alle Investments dann noch ein richtiges Portfoliomanagement legst kannst du mit der Assetklasse Startups oder Venture Capital auch in Deutschland gut Geld verdienen – dazu muss man auch nicht nach Amerika gehen. In Amerika mag es oberflächlich betrachtet tollere Exits geben, aber auch die Firmenbewertungen beim Einstieg sind deutlich höher. Die Firmen dort sind auch ein bisschen verwöhnt, weil sie viel mehr Kapital haben. Dementsprechend machen sie auch riskantere Businessmodelle. Das deutsche Ökosystem mit seiner relativen Kapitalknappheit ist zu gleich auch eine Tugend, weil die Leute hier eben gezwungen sind, effizienter zu arbeiten.
Beim Investieren gibt es zwei Theorien, die sich gegenüberstehen. Warren Buffet verfolgt das sogenannte „Value Investing“. Darin ist verankert, dass man nur in Industrien investiert, in denen man sich auskennt und dann zu einem günstigen Zeitpunkt zuschlägt. Die Theorie der Diversifikation sagt dagegen, dass man sein Kapital auf möglichst viele verschiedene Anlageprodukte aufteilt. So werden eventuelle Verluste einer Anlageklasse durch Gewinne anderer ausgeglichen. Welche Theorie ist die richtige beim Investieren in Startups?
Nikolas Samios: Methodische Diversifikation in Themen, in denen man sich auskennt. In den 80er Jahren haben viele Leute vom spray and pray geredet. Damit wurde impliziert, dass du das Risiko nicht reduzieren kannst und deswegen auch nichts prüfen musst – nach dem Motto: Hilft sowieso alles nicht. Du machst also zehn Wetten, kaufst zehn Lose in der Lotterie und erhöhst damit die Chance, dass du gewinnst. Aber es ist egal, ob du dieses oder jenes Los kaufst. Du kannst sie von außen nicht unterscheiden. Das halte ich für falsch.
Ich glaube, dass du sehr wohl unterscheiden kannst, welchen Chance Dein Los hat, Du kannst zumindest einen educated guess abgeben. Das ist aber immer nur eine Wahrscheinlichkeit, keine Gewissheit. Aber die Summe an Maßnahmen hilft dir, eine höhere Chance zu erreichen. Nehmen wir ein Pokerspiel als Beispiel. Wenn wir beide jetzt mit einem Profi 5 Runden pokern würden, ist die Verteilung der Gewinne vielleicht noch zufällig, statistisch normal verteilt. Wenn wir aber mit diesem professionellen Pokerspieler 100 Partien spielen, wird er am Ende des Tages deutlich gewinnen. Weil er eben methodisch so gut ist, dass er die Wahrscheinlichkeiten im Spiel berechnen kann. Es hat eine Glückskomponente – welche Karten kommen, kannst du nicht beeinflussen – aber es hat auch ein Methodik-, ein Können-Element. Und darum geht bei Venture Capital. Dass du das Können mit einbringst, um damit eine höhere Rendite zu machen. Dadurch gehst du bessere, hoffentlich kluge, optimierte Wetten ein, was zu gleich aber nicht bedeutet, dass jedes Investement durchkommt.
Da ist es wieder, das Handwerk, die Methode. Was genau steckt denn dahinter?
Nikolas Samios: Zunächst muss man Qualität und Quantität in einem guten Dealflow haben. Da gilt die alte IT-Weisheit: „Shit in - shit out“ – Wenn vorne nichts Gutes auf dem Tisch liegt, kannst du filtern, wie du willst, dann wird hinten auch nichts Gutes rauskommen. Also musst du erst mal dafür sorgen, dass du in einer ausreichenden Menge und vor allem in einer ausreichenden Qualität Deals auf dem Tisch hast. In der Sekunde wo ein Deal durch den Markt geht, also eine E-Mail an 50 Investoren rausgeht, ist der Deal quasi entwertet. Man muss viel früher dran sein an den interessanten Themen. Dafür gibt es keinen Marktplatz, das ist eine closed community und viel passiert über persönliche Kontakte. Zum Glück ist das deutsche Ökosystem nicht so groß, dass man jeden Tag mit Tausenden von Leuten Kaffee trinken muss. Viele sind ja auch Serientäter, sowohl auf Gründerseite als auch Angels. Auch frühe Super-Angels haben eine Signalwirkung.
Versuchen wir mal, educated guessing runterzubrechen – was ist das genau? Wenn jetzt also euer Investmentteam über einem möglichen Startup-Investment tagt, was besprecht ihr dann genau?
Nikolas Samios: Im Prinzip alle Kategorien, alle Headlines, die du in einem Business Plan vermuten würdest: Markt, Wettbewerb, Produkt, Pricing, Team, Investoren, wirtschaftliche Traktion und KPIs. Haben die Schulden oder nicht, wie ist die Entwicklung der Bewertung gewesen. Es ist zum Beispiel gar nicht so gut, wenn du der einzige Marktteilnehmer bist, denn dann muss man sich fragen: Wieso macht es kein anderer? Es ist aber auch nicht gut, wenn zehn Leute das gleiche machen, weil es dann einen Preiswettbewerb gibt oder unglaublich viel Marketing gemacht werden muss.
Weiterhin: Was sind vermutliche Exit-Kandidaten, wie ist die juristische Struktur? Investierst du in eine plain vanilla GmbH von 3 Gründern und alles ist sauber? Oder investierst du in die Tochter von einem Konzern und alles ist ganz komplex auf Grund von Abhängigkeiten? Auch das kann dazu führen, dass du den Deal nicht machst. Das A und O ist aber immer noch die Qualität des Gründerteams. Denn auch das wird dir jeder Investor sagen: Ein gutes Team kann aus einer Mittelklasse-Idee immer noch eine funktionierende Firma machen, aber ein Mittelklasse-Team kann aus der besten Idee keine erfolgreiche Firma machen. Das bleibt das A und O.
Jetzt steht man vor der Frage: Wie beurteilt man ein Team? In der frühen Phase ist es das Einfachste, wenn die Gründer schon mal etwas aufgebaut haben, wenn sie einen track record haben, wenn sie schon mal als Gründer oder als Mitarbeiter Nummer Fünf bei einem erfolgreichen Startup dabei waren, dann tust du dich einfacher in der Beurteilung. Deswegen bekommen solche Gründer ein Plus. Das bedeutet nicht, dass ein first time founder gar keine Chance hat, aber er hat natürlich den Mehrfach-Gründer-Vorteil nicht und muss das irgendwie kompensieren. Das kann zum Beispiel sein, dass der Investor nicht in der seed stage investiert, sondern sagt: „Nette Idee, wir mögen was wir hören, haben aber gerade für eine seriöse Investmententscheidung zu wenig Daten. Macht doch mal ohne uns weiter und komm in 6 – 9 Monaten noch mal wieder. Dann sag uns, wie es gelaufen ist und dann investieren wir vielleicht“. In einen serial founder investierst du vielleicht schon in der seed stage, weil der eben schon mal gezeigt hat, dass er erfolgreich ein Startup hochziehen kann.
Spielt es denn dabei eine Rolle, ob er damals gescheitert ist oder nicht?
Nikolas Samios: Naja, es wäre natürlich schon hilfreich, wenn auch mal was funktioniert hat. Natürlich ist auch das Scheitern eines Startups eine Erfahrung, und auch eine wichtige. Am Ende des Tages willst du aber nicht in jemanden investieren, der jetzt Serien-Scheiterer ist, sondern in jemanden, der hoffentlich in der Lage ist, in Serie ein Startup hochzuziehen, zum Erfolg zu führen und zu verkaufen. Das ist aber keine Schwarz-Weiß-Diskussion. Man investiert nicht nur, wenn der Gründer schon dreimal einen Börsengang gemacht hat, so einen gibt es ja auch nicht. Wichtig ist definitiv die Qualität des Teams und die Qualität der Co-Investoren, weil du dich als Investor auch an den Einschätzungen der Co-Investoren orientierst.
Wäre es für dich als Investor denn ein Nachteil, wenn eine Crowd Co-Investor ist?
Nikolas Samios: Das kommt ein bisschen drauf an, was man damit beweisen kann. Wenn du ein Produkt hast, das nur zur Vorbestellung angeboten wird und die Leute kaufen über die Crowd trotzdem schon, obwohl es das Produkt noch gar nicht gibt, dann ist das natürlich ein Signal. Das sagt dir schon, dass da offensichtlich eine Nachfrage im Markt ist. Du musst als Startup natürlich gucken, dass du nicht irgendwie drei Jahre zu spät lieferst und ständig Stress hast, aber das ist an sich wie eine Art früher Markttest.
Bei Co-Investoren muss man aber immer auch prüfen, ob der Fakt, dass die investiert haben, auch ein positiver Ausdruck von Qualität ist. Ich sag jetzt mal bös, wenn du gewisse Förderprogramme akquiriert hast, ist das manchmal, ehrlich gesagt, nur ein Beleg dafür, dass die Gründer in der Lage waren, das Formular richtig auszufüllen. Ausnahmen bestätigen die Regel, die IBB Beteiligungsgesellschaft zum Beispiel. Die tickt selbst wie ein VC und hat ein wirklich gutes Team.
Im Crowdinvesting haben wir eine Verantwortung gegenüber unseren Investoren und den Startups, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit. Die schaut immer ganz genau hin, welche Projekte auf unserer Plattform um Finanzierung werben. Aber die Due Diligence machen unsere Investoren selbst.
Nikolas Samios: Das ist eine anspruchsvolle, nicht nur juristische Fragestellung. Ist man eben nur die neutrale Plattform und stellt sich auf den Standpunkt, dass der Investor selbst prüfen muss oder hat die Plattform eine Selektionsfunktion. Da sind zu Recht Verbraucherschützer kritisch, das ist ein schwieriges Thema. Etwas anderes ist es, wenn du zum Beispiel wie bei AngelList oder B-to-V einen Investor hast, der selber eine Due Diligence durchführt, eigenes Geld investiert und dann eine Empfehlung abgibt. Dann können andere zu den gleichen Konditionen auch investieren.
Wir trauen den "Companisten" aber zu, diese Entscheidung selbst zu treffen. Der Vorwurf aber lautet: „Die Crowd ist nicht klug.“ Aber genau das ist der Knackpunkt: Unsere Daten zeigen etwas anderes. Und wenn die Projekte nicht gut sind, investieren die Investoren nicht. Und wenn die Investoren nicht investieren, verdienen die Plattformen kein Geld. Wir setzen auf die Mündigkeit unserer Investoren.
Nikolas Samios: Ich glaube nicht an dieses pauschale Abwehren, nach dem Motto: „Die Menschen da draußen sind grundsätzlich zu doof und die sind unmündig und deswegen darf man generell nicht zulassen, dass die investieren.“ Das ist auch so ein bisschen eine deutsche Krankheit. In Deutschland investieren auch viel zu wenige Menschen ganz allgemein in Aktien, selbst in konservative Aktien wie Siemens und Co. Dabei wirst du eine viel höhere Rendite gemacht haben, wenn du die letzten 10 oder 20 Jahre in Aktien investiert hast, statt eine Lebensversicherung abzuschließen und auf die staatliche Rente zu hoffen.
Das heißt, diese Kultur, dass man überhaupt in Unternehmen investiert – die sogenannte Equity Culture - ist in Deutschland im Verhältnis zu UK und den USA leider weit zurück. Und dabei muss das eigentlich volkswirtschaftlich gefördert werden, weil die Leute sonst gar nicht mehr für das Alter vorsorgen können. Aber man muss dann eben auch dafür sorgen, dass die korrekte, transparente Informationen und Hilfestellung bekommen.
Zurück zum Crowdinvesting: Die bisherigen Plattformen sind eigentlich immer nur Vermittler. Sie organisieren zwar Reportings und haben Richtlinien, investieren aber eben nicht selbst. Da stelle ich mir schon die Frage, ob man das so langfristig machen kann. Ich bin da auch gespannt auf die zweite Generation des Crowdinvestings, die wir sicherich bald sehen werden, aktuell passiert ja z.B. sehr viel im Immobilien-Bereich. Generell denke ich, dass Crowdinvesting schon ein Thema ist, dass eine langfristige Daseinsberechtigung hat. Hier gilt das gleiche wie bei vielen FinTechs: Die Leute lösen sich von ihrem Bankberater los, es gibt da kein großes Herrschaftswissen mehr. Das Vertrauen ist nach ein paar Skandalen bei Null und das oftmals auch zu Recht. Man muss man nur einmal mit jemandem reden, der eine Ausbildung bei einer Bank gemacht hat. Was er/sie am Schalter verkaufen musste, weil es gerade intern promotet wurde, hat nichts mit den Bedürfnissen des Kunden zu tun. Das ist ein systemisches Problem. Deshalb kann man da viel verbessern, muss aber auch weiterhin dazu lernen.
Du hast gerade erwähnt, dass in Deutschland generell wenig in Unternehmen investiert wird, eben auch in Aktien und Co. Liegt das an der Mentalität der Deutschen? Könnte man das ändern oder ist das tatsächlich etwas, das man strukturell komplett von oben ausrollen müsste, sodass sich etwas verändert?
Nikolas Samios: Ja, das ist ein Mentalitäts- und Kultur-Thema. Von der Ausgangssituation sind wir genauso aufgestellt wie die Amerikaner: Man zahlt ja zum Beispiel keine Strafsteuern auf Firmeninvestments. Aber es fehlt hier die Kultur und das Verständnis. Was bei uns viel mehr verankert ist, ist das Sparbuch. Und in der Schule kam bei mir der lokale Stadtsparkassenbanker vorbei und hat jedem ein rotes Plastesparschwein geschenkt.
Ich glaube auch, dass erst in den letzten Jahren die Erkenntnis durchsickert, dass man sich nicht mehr so zurücklehnen und auf die Rente verlassen kann, dass das Vater Staat übernimmt. Und Norbert Blüms Statement „Die Rente ist sicher!“ wurde auch schon ein paar Mal hinterfragt. Langsam werden die Leute dahin geschoben, auch private Zusatzvorsorgemaßnahmen zu machen. Der demografische Wandel verstärkt das Problem noch massiv. Deswegen glaube ich, dass es durchaus eine Art Bildungs- und Kulturwandel-Auftrag auch für die Politik gibt. Durch den demografischen Wandel und den Niedrigzins werden die Lebensversicherungen viel weniger Rendite bringen, als die Menschen glauben. Das erzeugt sozialen Sprengstoff. Durch so etwas kann es passieren, dass die AFD noch mal 20 Prozentpunkte dazu bekommt. Hier wird also aus einem betriebswirtschaftlichen Problem schnell ein volkswirtschaftliches. Dementsprechend muss diese equity culture, diese Kultur, die die Angloamerikaner deutlich stärker ausgeprägt haben, auch in Deutschland gefördert werden. Der letzte große deutsche Börsengang, bei dem auch normale Menschen investiert haben, war der der Deutschen Telekom. Das ist schon relativ lange her und gipfelte darin, dass Manfred Krug persönlich verklagt wurde, weil er in einem Fernsehspot als Schauspieler diesen Telekom-Börsengang beworben hat. Das zeigt, dass da kulturell noch vieles im Argen liegt. Ich hoffe, dass es besser wird. Jeder, der sich selber damit beschäftigt, wie er irgendwie später mal seine Rente aufbessert, muss eigentlich zu dem Schluss kommen, dass er „irgendwas mit Aktien und Unternehmensbeteiligungen“ machen muss. Nicht nur, aber als Teil eines Portfolios.
Das größte Problem ist aber dabei die deutsche Einstellung zum Thema Scheitern. Die Deutschen investieren nicht in Unternehmen, weil diese scheitern können. Im Umkehrschluss ist das Geld dort nicht sicher. Das Investieren in Startups ist jetzt besonders komplex. Akzeptiert man denn in der VC-Branche, akzeptiert man bei euch, dass es das Scheitern gibt? Ist das etwas völlig Normales? Oder seid ihr auch mal enttäuscht?
Nikolas Samios: Das Scheitern ist völlig normal. Es darf halt nur nicht zu oft passieren. In einem VC Geschäftsmodell wirst du immer einen gewissen Prozentsatz an gescheiterten Unternehmen antizipieren und du kannst es auch aufgliedern, je nachdem in welcher stage [Unternehmensphase, Anm. d. Redaktion] man investiert. Wenn du in der seed stage investierst, wird logischerweise viel mehr schiefgehen, als wenn du in der growth stage investierst. Dafür bekommst du aber in der growth stage weniger Rendite, das ist wieder der mathematische Umkehrschluss. Scheitert ein Unternehmen ist man persönlich natürlich schon enttäuscht, wir sind ja auch nur Menschen. Aber das ist nicht das Relevante. Das Relevante ist, dass du die Methode hast, die Fördert, dass bei einer größeren Fallzahl weniger Sachen scheitern als klappen bzw. die mehrfachen Rückflüsse aus den Einsatz aus den Erfolgen die einfachen Verluste des Einsatzes bei den anderen Firmen überkompensieren und unterm Strich eine Rendite rauskommt.
Du darfst dich aber auch nicht zu stark emotional mit diesem Scheitern beschäftigen. Wenn man im Venture-Capital-Bereich tätig ist, kann man sich theoretisch mit jeder Firma Vollzeit beschäftigen. Aber wenn du jetzt deine Aufmerksamkeit komplett auf eine Firma konzentrierst, die schlecht läuft, aber noch nicht tot ist – wir nennen das „the living dead“ – dann hast du keine Zeit mehr für die anderen „Patienten“, bei denen es aber noch einen Unterschied macht, ob du denen Zeit widmest. Das ist ein bisschen wie ärtzliche Leistung im Katastrophen-Fall: Du bist Sanitäter, kommst an einen Unfallort und hundert Leute liegen auf der Straße. Du musst in der Situation deine Ressourcen aufteilen und überlegen, wo du den größten Nutzwert hast. So ähnlich ist es beim Portfoliomanagement.
Stichwort Katastrophe: Medial wird gerade wieder diskutiert, ob wir uns in einer Venture-Capital-Blase befinden, die nun platzt, denn das Volumen und der Wert der Investments gehen weltweit zurück. Was meinst du?
Nikolas Samios: Naja, das ist ja ständig die Diskussion. Die ist auch im Prinzip ständig mehr oder weniger berechtigt. Es gibt dazu den „Gartner Hype Cycle“, der das ganz schön beschreibt: Wenn es irgendwas zum ersten Mal gibt, dann hast du am Anfang eine große Amplitude mit Ausschlägen nach oben und unten. Danach werden die Amplituden kleiner, aber diese Amplituden gibt es immer wieder. Es wird immer Überhitzungen geben und dann wird es wieder übertriebenes Abfallen geben. Man sollte sich sowohl ganz oben als auch ganz unten davon nicht verrückt machen lassen. Startups und Innovationen werden morgen nicht einfach aufhören zu existieren. Das Internet geht auch nicht mehr weg. Aber sowohl an dem oberen als auch am unteren Peak muss man sich die Lage bewusst machen und dementsprechend klug entscheiden. Das kann bedeuten, dass es, wenn man gerade unten ist, zum Beispiel eine gute Einkaufsgelegenheit sein kann. Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, dass es in den letzten 15 Jahren einen Zeitpunkt gab, an dem man Startups nicht verkaufen konnte. Es gab nie ein, zwei oder drei Jahre Stillstand, nicht mal als die erste Dotcom-Blase geplatzt ist. Das ganze Venture-Thema ist im Verhältnis zu Immobilien und Co. eine Nische, aber es ist schon so gut entwickelt und diversifiziert, dass nicht alle auf einmal den Stift hinlegen und in den Urlaub fahren, wenn einmal in der Presse steht „Oh, schlechte Stimmung!“.
Wo wir gerade bei Amplituden sind: Gibt es gerade aktuelle Trends in der VC-Branche?
Nikolas Samios: Da bin ich ganz schlecht drin in dieser Frage. Seit 15 Jahren würde ich immer sagen: Such dir gute Teams mit guten Modellen und investiere in die. Trends kommen und gehen. Natürlich gibt es Themen, die gehäuft aufkommen. Wir sind jetzt gerade an einem hohen Punkt der FinTech-Welle, dabei kann ich aber nicht sagen, ob das noch weiter noch oben geht oder jetzt langsam abebbt. Dann gibt es einige Themen, bei denen man sich darüber streiten kann, ob die gehyped sind oder nicht. Blockchain oder Bitcoins, sind zum Beispiel so ein Thema, die ganze Themenwelt AI [künstliche Intelligenz, Anm. d. Red.], VR [Virtuelle Realität, Anm. d. Red.] oder Drohnen. Man darf aber nicht blind einer Bewegung hinterherlaufen sondern muss sich einfach weiterhin nüchtern die Themen angucken. Es gibt aber auch immer wieder gute, vergleichsweise langweilige Startups mit Marktplatz-, E-Commerce-, Gaming-, AdTech-, Mobile- oder SaaS-Modellen: Am Ende des Tages tust du dir keinen Gefallen, wenn du nur nach Headlines gehst. Du musst dir den Case anschauen, dir das Team anschauen, das Set-Up und so weiter. Da kommst du nicht drum herum. Einer Headline hinterherzurennen, entbindet dich nicht davon, genau diese Fragen zu stellen.
Eine Frage noch: In ganz Europa und der Welt erkennt man nationalistische Tendenzen in den Regierungen der Länder – darunter Großbritannien mit dem Brexit, die USA mit der „Buy-American“-Philosophie Trumps, auch in anderen Ländern wie der Türkei, Frankreich, Italien und einigen anderen. Denkst du, dass diese protektionistische Wirtschaft, die von vielen angestrebt wird, in den nächsten Jahren Auswirkungen auf die Venture-Capital-Landschaft haben wird?
Nikolas Samios: Ich war gestern gerade auf einem Panel in Wien zu dem Thema „Brexit Impact“. Das war genau dieses Thema. Wir haben dort beschlossen, nicht über den Brexit als solches zu sprechen, sondern genau über diese dahinter liegenden Grundtendenzen, die du gerade angesprochen hast. Und natürlich ist es so, dass die protektionistische Art das ganze Startup-Ökosystem und natürlich auch das VC-System behindert. Du weißt selbst, dass 30, 40 Prozent der Mitarbeiter in einem Berliner Startup schon heute einen internationalen Hintergrund haben.
Londoner, die wegen des Commonwealth hundert Jahre mehr Erfahrung mit Immigration haben als wir, beneiden jetzt Berlin darum, dass es dieses liberale, lockere Klima noch hat. In London wissen viele Leute nicht, ob sie auch in Zukunft überhaupt dort bleiben dürfen – selbst die, die da seit 20 Jahren leben. Das sind echte Dramen, die sich da abspielen. Und diese Ruhe und Kontinuität, die du oft als Deutscher gar nicht wertschätzen kannst, die du eher langweilig findest, die ist auf einmal viel wert. Welcher normal denkende Mensch würde sich jetzt danach sehnen, nach Amerika zu gehen?
Deutschland steht im Verhältnis also ganz gut da. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass wir große Gewinner von etwas wären. In Summe ist diese Entwicklung negativ. Die eigentliche Herausforderung wäre gewesen, dass ein vereintes Europa eine so große kritische Masse, einen so großen Markt aufbaut, dass es etwas gegen amerikanische und auch zunehmend asiatische Startups setzen kann. Und sobald du jetzt anfängst, dieses Europa wieder aufzudividieren, ist das auf keinen Fall positiv. Deswegen kann man das nur aus jedem Blickwinkel – menschlich, politisch, wirtschaftlich – mit großer Sorge betrachten.
Ich glaube deswegen auch, dass die ganze Entrepreneurship-Bewegung auch politischer werden muss. Den Luxus, den man sich als Deutscher unseres Jahrgangs geleistet hat, dass man eigentlich nie politische Kämpfe geführt hat weil alles immer ein Mitte-Kurs war, kann man sich eigentlich nicht mehr leisten.
Ich glaube, dass grundsätzlich die Entrepreneurship-Bewegung hier ganz gute Gene hat: Internationalität, Diversität, Gender - wobei wir uns natürlich noch mehr Female-Founder wünschen – alles Aspekte, die man hier schon recht lange ohne groß darüber nachzudenken lebt. Da ist die Startup-Szene also eigentlich schon viel, viel weiter als die ganze Gesellschaft. Das darf also ruhig auf den Rest ausstrahlen.
Vielen Dank für das Interview, Niko!
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